Stummer Austausch
Christel Dillbohners bewegende Multi-Media-Installationen sind ein faszinierender Verschnitt von visueller Kunst, Anthropologie und Landschaftsmalerei. Ihre künstlerische Arbeit erwächst größtenteils aus ihren ausgedehnten Reisen und literarisch-intellektuellen Erkundungen und ist eine melancholische Erörterung kultureller Begegnungen verschiedenster Art und Ursprünge. Wie eine Wünschelrutengängerin erforscht Dillbohner reale Orte und geistige Räume, dabei beschwört ihre erdgebundene Kunst Seelen-Landschaften herauf.
Ihre Installation im Gemeinschaftsprojekt geZEITEN besteht aus zwei Komponenten; beide verweisen auf Dillbohners Interesse an geschichtlichen Kreisläufen und Ablagerungen und am Sog des kollektiven menschlichen Gedächtnisses. Seit langem haben die Erzählungen und Betrachtungen des deutschen Schriftstellers W.G. Sebald in Dillbohners Arbeit Resonanz gefunden. Sie haben sie auf ihr deutsches Erbe gestoßen und angeregt zu einem eigenen Gebrauch von Bildern, welche die Beziehungen zwischen Erinnerung, Kunst und Natur erforschen. Diesmal hat Dillbohner in einem langwierigen Prozess der Ermittlung und Selbstfindung den Text von Sebalds Prosagedicht Nach der Natur in fünf Tafeln aus gewachstem geschwärzten Maulbeerpapier eingraviert. Das Gegenstück zu dieser eindringlichen Verschmelzung von visueller und literarischer Kunst ist Dillbohners skulpturale Arbeit Ice Floe (Eisscholle). Sie besteht aus ca. 1.500 eingefärbten, kegelförmigen Papierfiltern, die sich, dicht über dem Boden hängend, um ein fließendes Inneres gruppieren. Dieses gleicht einer arktischen Landmasse mitten im Tauwetter. Die flüssigen Blau-, Grün- und Weißtöne der Kegel erinnern an das schwindende Packeis und zugleich auch an die flechtenartigen Lebewesen, die in so unwirtlicher Umwelt zu Hause sind.
In 'Nach der Natur' beschreibt Sebald, wie der Polarforscher W.G. Steller auf eine kleine, vorübergehend unbewohnte Hütte in der Arktis stößt. In einem sprachlosen, unerbetenen Handel eignet sich der Besucher einige umher liegende primitive Geräte an und lässt dafür andere weltliche Waren zurück. Diesem stummen Austausch - mit seinen so mächtigen sozialen Auswirkungen - entsprechen die beiden Teile von Dillbohners Installation, die ebenso stumm den globalen ökologischen Wandel widerspiegelt und damit zugleich auf die folgenschwere Annährung der Kulturen verweist, auf eine - um aus Sebalds Prosagedicht zu zitieren - "lautlose Katastrophe, die sich ohne Aufhebens vor dem Betrachter vollzieht."
Christopher Schnoor, Boise, Idaho, February 2009
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Mute Exchange
Christel Dillbohner's evocative multi-media installations are an intriguing blend of visual art, anthropology, and landscape. Her work is the product, in part, of extensive travel and literary/intellectual journeys, and is a melancholy consideration of accumulated cultural encounters of diverse kinds and origins. A divination of physical places and mental spaces, Dillbohner's earthbound art evokes a landscape of the psyche.
Her installation for geZEITEN has two components, which speak to Dillbohner's interest in the cycles and sedimentations of history, and the undertow of human memory. The narratives and contemplations of German writer W. G. Sebald have long resonated with Dillbohner, tapping into her German heritage and inspiring her own use of images in exploring the relationship between memory, art and nature. In a labor - intensive act of identification and sublimation, Dillbohner inscribed the text of Sebald's prose poem Nach der Natur onto five panels of wax - coated, blackened mulberry paper. The counterpart to this haunting fusion of visual and literary art is Dillbohner's sculptural piece Ice Floe, comprised of 1500 painted paper cones suspended just off the floor and amassed around its floating interior. It is an Arctic landmass in the midst of a thaw; the liquid blues, greens and whites of the cones evoke the receding icepack, revealing the lichenous life forms that call such harsh environments home.
In 'Nach der Natur', Sebald describes the Arctic explorer W.G. Steller coming upon a small dwelling temporarily deserted. In a wordless, uninvited trade, the visitor takes possession of primitive implements lying about, leaving in return various worldly goods and wares. This "mute exchange", so powerful in its social implications, echoes the ecological one implied between the two halves of Dillbohner's installation, a momentous convergence of cultures that portends, to borrow a phrase from Sebald's poem, "a silent catastrophe that occurs almost unperceived."
Christopher Schnoor, Boise, Idaho, February 2009
(Quotes from the exhibition flyer)
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